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Der bloggende Anwalt – wann ist ein Angebot „journalistisch-redaktionell“?

Seit Ende 2020 gilt der neue Medienstaatsvertrag (MStV) für Angebote nicht nur im Rundfunk, sondern auch für Telemedien, also für Angebote im Internet. In den §§ 17 ff. MStV enthält der Staatsvertrag allgemeine Pflichten für Anbieter von Angeboten im Internet. Zu diesen Pflichten gehören unter anderem Informations- und Auskunftspflichten (§ 18 MStV), Sorgfaltspflichten (§ 19 MStV) und – darum geht es in einer gerade veröffentlichten Gerichtsentscheidung – die Pflicht zur Gegendarstellung (§ 20 MStV). Gemeinsame Voraussetzung für das Entstehen solcher Pflichten ist, dass es sich bei dem Angebot um ein „journalistisch-redaktionell“ gestaltetes Angebot handelt. Trotz eines umfangreichen Katalogs an Begriffsbestimmungen in § 2 MStV enthält der Staatsvertrag keine Definition dieses zentralen Begriffs.

Oberlandesgericht Koblenz füllt den Begriff mit Leben

In einer aktuellen Entscheidung über einen Gegendarstellungsanspruch nach § 20 MStV hat sich das Oberlandesgericht Koblenz (Beschluss vom 12. April 2021, 4 W 108/21) mit der Frage befasst, wann ein journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot vorliegt oder besser, wann ein solches nicht vorliegt. Diese Entscheidung hat enorme Praxisrelevanz, unter anderem weil die getroffenen Feststellungen auch auf die weiteren Vorschriften in den §§ 17 ff. MStV übertragbar sind.

Voraussetzung für die Einordnung als journalistisch-redaktionelles Angebot ist nach der Entscheidung  eine erkennbar publizistische Zielsetzung. Für eine solche Zielsetzung sei weiter erforderlich, dass die Informationen – für den Nutzer erkennbar – nach ihrer gesellschaftlichen Relevanz und mit dem Ziel des Anbieters, zur öffentlichen Kommunikation beizutragen, ausgewählt werden. Daher ist nicht jedes redaktionell gestaltete Angebot zugleich Online-Journalismus.

„Es muss die Absicht einer Berichterstattung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gegeben sein, denn nur die Tätigkeiten, die der Erfüllung der Aufgaben einer funktional verstandenen Presse bzw. des Rundfunks dienen, werden vom Medienprivileg erfasst […]

Davon ausgehend wird unter anderem kommerzielle Kommunikation grundsätzlich nicht als journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot angesehen, da sie nicht an Kriterien gesellschaftlicher Relevanz ausgerichtet ist, sondern an den verfolgten wirtschaftlichen Interessen [….]

Ein Kanzleiblog stellt in der Regel kommerzielle Kommunikation dar

In dem Fall des Oberlandesgericht Koblenz ging es um einen Kanzleiblog (nicht um unseren Blog sondern um eine Anwaltskanzlei aus Koblenz). Diesem Blog fehlt es an der erforderlichen publizistischen Zielsetzung, so die Richter. Das gelte auch dann, wenn die Internetseite der Kanzlei unter anderem auf Artikel verlinkt, die auf anderen Internetseiten veröffentlicht wurden.

„Zu weit geht es jedenfalls, in die Betrachtung, ob ein journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot vorliegt, andere Websites und Internetplattformen, auf denen der Antragsgegner Veröffentlichungen vornehmen mag, einzubeziehen.“

Ein Kanzleiblog ziele in der Regel nicht darauf ab, an der öffentlichen Kommunikation teilzunehmen, sondern Mandanten zu gewinnen:

„Die über den Blog aufrufbaren (Video)Beiträge sind nicht als (Fach)journalismus zu bewerten, sondern dienen ebenfalls sämtlich der kommerziellen Kommunikation i. S. d. § 2 Nr. 5 TMG, insbesondere auch durch Selbstdarstellung des Antragsgegners, „Anberatung“ potentieller Mandanten, Darstellung von betreuten Fällen und erzielten Erfolgen sowie allgemeinen Informationen rund um die tätigkeitsbezogenen Themen, in denen sich potentielle Mandanten wiederfinden könnten, um zur Geltendmachung ihrer Rechte auf die Kanzlei zuzukommen. […] Die Vielzahl an in den Blog eingestellten Beiträgen macht ihn noch nicht zu einem journalistisch-redaktionell gestalteten Angebot.“

Dabei stellt der Senat klar, dass es für die Einordnung als journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot nicht darauf ankommt, ob die Inhalte rechtlich und tatsächlich zutreffen.

„[…]  sowie der Umstand, dass Stil, Hauptüberschrift und Einleitung eher dazu dienen, die Aufmerksamkeit des Lesers zu erregen und sein Interesse am Weiterlesen zu fördern, sind für die Frage, ob es sich um ein journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot handelt, irrelevant. Maßgebend ist allein, dass der Artikel nach Standort und Inhalt von einer ersichtlich kommerziellen Zielsetzung des Antragsgegners geprägt ist, nämlich der Mandantenwerbung aus einem vom Antragsteller potentiell geschädigten Personenkreis.“

Unter Berücksichtigung dieser Feststellungen kommt das Oberlandesgerichts Koblenz zu der Erkenntnis, dass der streitgegenständliche Kanzleiblog kein journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot ist. Das hat zur Folge, dass auch keine Pflicht der Rechtsanwaltskanzlei zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung nach § 20 MStV besteht.

Kurzum, wir sind regelmäßig (nur) Anwälte und keine Journalisten, was freilich viele Vorteile hat: Die Relativität der eigenen Position ist typisch für die Anwaltstätigkeit. Anders als Journalisten dürfen wir Anwälte uns – um an die Worte von Hanns Joachim Friedrichs anzuknüpfen – mit einer Sache gemein machen. Ein guter Jurist ist eben nur, wer es mit schlechtem Gewissen ist – so der deutsche Rechtsphilosoph Gustav Radbruch. Soll heißen: Die Erkenntnis von der (jederzeit möglichen) Ungerechtigkeit des Rechts hält das „schlechte Gewissen“ wach, das einen guten Juristen ausmacht (Lindner, Zum Verhältnis von Recht und Moral, jura 2016, 8, 10) und erlaubt, ja zwingt uns Anwälte dazu, dass wir uns – anders als Journalisten – mit guten Sachen gemein machen. Daher werden wir in diesem Blog zu rechtlichen Themen stets schreiben, was wir denken, auch wenn wir uns mit einer (guten) Sache gemein machen.

Zur Praxisrelevanz der Entscheidung mit Blick auf neue Befugnisse der Landesmedienanstalten

Die Frage, ob ein journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot vorliegt, ist auch im Rahmen von § 19 MStV von besonderer praktischer Bedeutung. Hiernach haben Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen. Schlagwortartig müssen hiernach bestimmte journalistische Sorgfaltspflichten eingehalten werden. Aus dieser Regelung erwachsen neue Befugnisse zur Regulierung von Angeboten im Internet für die Landesmedienanstalten.

Gezieltes Vorgehen gegen Desinformationen im Superwahljahr

Für das Superwahljahr 2021 haben sich die Medienanstalten der Länder zur Aufgabe gemacht, die Einhaltung dieser Sorgfaltspflichten mit besonderer Priorität zu verfolgen. Ziel ist es, den Meinungsbildungsprozess der Bürger zu stärken und zwar unbeeinflusst durch gezielte Desinformationen oder sonstige Fake-News. Die Medienanstalten gehen dabei – wie so oft – zweigleisig vor. Zum einen versuchen sie durch Aufklärung ein Bewusstsein für ordentlichen Online-Journalismus zu schaffen. Hierzu haben die Medienanstalten ein Merkblatt zur journalistischen Sorgfalt in Online-Medien veröffentlicht. Auf der anderen Seite gehen die Medienanstalten vermehrt gegen Angebote vor, bei denen die Einhaltung der journalistischen Sorgfalt zweifelhaft oder sogar offensichtlich verletzt worden ist. Allerdings erfolgt in einem ersten Schritt ein solches Vorgehen lediglich durch die Versendung eines Hinweisschreibens an den betreffenden Anbieter. Im Rahmen eines solchen Hinweisschreibens wird dieser über die möglichen Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten informiert und zur Stellungnahme aufgefordert. Liegt ein Verstoß vor und wird dieser trotz eines entsprechenden Hinweises nicht beseitigt, kann die zuständige Aufsichtsbehörde im äußersten Fall auch den Inhalt sperren lassen.

Zur Kritik an den neuen Befugnissen der Landesmedienanstalten

An diesen Befugnissen wird zum Teil heftige Kritik geübt. Es wird befürchtet, dass die Landesmedienanstalten ihre neuen Befugnisse dazu einsetzen, unliebsame Meinungen zu unterdrücken. Anders als oft behauptet, nehmen die Landesmedienanstalten im Zusammenhang mit Verfahren zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten jedoch nicht den Inhalt eines beanstandeten Beitrages in den Blick. Geprüft wird nur, ob handwerklich sauber gearbeitet wurde, also ob beispielsweise herangezogene Quellen geprüft worden sind. Eine Inhaltskontrolle findet gerade nicht statt, sodass der Vorwurf der Zensur nicht nur fernliegend, sondern falsch ist. Würde es um eine nach Artikel 5 Grundgesetz verbotene Zensur gehen, bestünde eine Verpflichtung des Anbieters zur Vorlage des Beitrages vor der Verbreitung, damit der Beitrag inhaltlich kontrolliert werden kann. Die Landesmedienanstalten nehmen ihre Tätigkeit allerdings stets erst nach der Veröffentlichung eines Beitrages auf. Die Rede von der Zensur beruht hier also – wie so oft – auf einem Fehlverständnis des Begriffs der Zensur.

In dem lesenswerten Beitrag „Gute Presse, schlechte Presse“ blickt Telepolis, ein Angebot von heise online ebenfalls kritisch auf die neuen Befugnisse der Medienanstalten oder besser auf deren Umsetzung durch die Medienanstalten. Dort wirft die Autorin die wichtige Frage auf:

„Die Frage ist, ob es gelingt angesichts aufgeheizter Debatten um neuralgische Themen und Personen das einerseits intransparente und andererseits noch nicht rechtsbewehrte Vorgehen der Landesmedienanstalten, sowie das zeitgleiche Abschalten von Online-Kanälen, Apps und Messengern durch Internetprovider kritisch und mit einem sehr wachen Auge zu betrachten.“

Die Frage wird man optimistisch mit einem „Ja“ beantworten können. Denn in einem funktionierendem Rechtsstaat betrachten letztlich auch Gerichte mit sehr wachem Auge das Vorgehen der Medienanstalten. Erweist sich eine nach § 109 MStV getroffene Maßnahme als rechtswidrig, steht dem betroffenen Anbieter der Rechtsweg offen. Insoweit ist dem Beitrag auf Telepolis zu widersprechen, wenn es dort heißt:

„Die Möglichkeit des Urteils darüber, ob ergriffene Maßnahmen ausreichend sind, oder die Landesmedienanstalten weiter einschreite, hält aber der Medienstaatsvertrag ausdrücklich vor. Hier werden also die Anstalten zu Kläger und Richter gleichermaßen.“

Richtig ist, die Landesmedienanstalten üben die Aufsicht über Angebote in Telemedien aus. Als solche können sie bestimmte Angebote prüfen und im Einzelfall Maßnahmen ergreifen, wenn sich ein Angebot an die Vorgaben aus den §§ 17 ff. MStV hält. Die Landesmedienanstalten können auch weitere, strengere Maßnahmen ergreifen, wenn der Verstoß nicht nachhaltig beseitigt wird. Hierdurch werden die Landesmedienanstalten jedoch nicht zugleich zum Richter über ihre eigenen Maßnahmen. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme der Landesmedienanstalten obliegt nämlich den Verwaltungsgerichten.