„Gegen den Chef und Gründer des Online-Netzwerks Telegram, Pawel Durow, ist in Frankreich ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Ihm werden sechs Straftatbestände zur Last gelegt. Durow habe sich unter anderem der Beihilfe zu Straftaten „zur bandenmäßigen Verbreitung von Bildern Minderjähriger mit kinderpornografischem Inhalt, zum Drogenhandel und zum bandenmäßigen Betrug“ schuldig gemacht, das berichtet die FAZ heute abend (Niklas Záboji, 28. August 2024).
Was ist  Telegram? Nur eine „Instant-Messaging-Anwendung“?

Telegram sei „eine 2013 gegründete Instant-Messaging-Anwendung, die in zahlreichen Akten zu verschiedenen Straftaten (Pädokriminalität, Menschenhandel, Online-Hass) auftaucht“, erklärte die Pariser Staatsanwaltschaft am Mittwochabend – und betonte, dass das Netzwerk „praktisch nicht“ auf gerichtliche Aufforderungen reagiert habe, so berichtet die FAZ.

Ist Telegram wirklich nur eine Instant-Messaging-Anwendung?

Telegram ermöglicht seinen Nutzern, Gruppen mit bis zu 200.000 Teilnehmern zu betreiben bzw. in diesen Gruppen etwas zu posten. Zudem bietet Telegram die Möglichkeit, öffentliche Kanäle zu betreiben. Was teilweise in solchen öffentlichen Kanälen veröffentlicht wird, zeigt ein Blick in Entscheidungen des Bundesgerichtshofs im Strafrecht: Zitat aus einem Beschluss des Bundesgerichtshofs - AK 1/23:

„Der Angeschuldigte wurde am 13. Juni 2022 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 1. Juni 2022 (2 BGs 324/22) festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl warf dem Angeschuldigten vor, er habe eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, die bestimmt und geeignet sei, die Sicherheit des Staates zu beeinträchtigen […] Außerdem habe er sich seit spätestens April 2021 von Deutschland aus als Mitglied am IS und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, […], indem er deutsche Übersetzungen von arabischsprachigen IS-Texten anfertigte und verbreitete. […]. "

BGH Telegram

Kurzum: Telegram ist nicht nur eine Messaging-App für private Chats, sondern tatsächlich Betreiber eines „sozialen“ Netzwerks, ein Plattformbetreiber. Rechtlich ist dazu folgendes zu sagen:

Umstritten ist, ob Telegram als „große Online-Plattform“ im Sinne des Digital Service Act einzustufen ist. Nach eigenen Angaben hat Telegram in der EU 41 Millionen monatlich aktive Nutzer - und das sind aus Sicht von Telegram vier Millionen zu wenig, um als besonders große Online-Plattform (VLOP) zu gelten (lesenswert dazu Falk Steiner, Heise).

Diskutieren könnte man auch, ob sich Telegram auf das sog. Plattformbetreiberprivileg, § 7 DDG, Art. 6 DSA, berufen kann bzw. wie „neutral“ Telegram ist (vgl. zum Plattformbetreiberprivileg und zum Neutralitätskriterium das Urteil des Landgerichts München I vom 26. Juli 2024 - 37 O 2100/22 - in Sachen FC Bayern München gegen die Ticketplattform Viagogo, REWIS RS 2024, 5593 ab Rn. 154). 

Nach meiner Auffassung ist  Telegram jedenfalls (auch) als Online-Plattform im Sinne des DSA einzustufen. Telegram ist nicht nur Access-Dienst (Art. 3 lit. g) Ziffer i) DSA). Telegram ist Vermittlungsdienst i.S.v. Art. 2 Abs. 1 DSA, Art. 3 lit. g) iii) DSA, der (auch) darin besteht, von einem Nutzer bereitgestellte Informationen in dessen Auftrag zu speichern.  Diese Informationen werden auch in Kanälen verbreitet, und zwar öffentlich, weil der Absender eines Beitrages in einem öffentlichen Kanal nicht über den Empfänger bestimmt. Das Speichern und öffentliche Verbreiten von Informationen im Auftrag eines Nutzers bei Telegram ist nicht nur eine unbedeutende und reine Nebenfunktion des Hauptdienstes. Telegram ist damit "Online-Plattform“ -  Hostingdienst - im Sinne von Art. 3 lit. i) DSA). So sieht sich Telegram wohl auch selbst. Telegram bestreitet ja nur, eine "sehr große Online-Plattform" im Sinne des DSA zu sein. Ich blende einen Ausschnitt aus den FAQ ein:

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Haftet Telegram?

Als Diensteanbieter kann Telegram für die im Auftrag eines Nutzers gespeicherten Informationen  nach der Rechtslage in Deutschland haften, wenn Telegram

  • aufgrund einer hinreichend präzisen und begründeten Meldung auf einen konkreten rechtswidrigen Inhalt hingewiesen wird (hierzu Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 13. Juni 2024 – 16 U 195/22)
  • diesen Inhalt nicht umgehend auf seine Rechtswidrigkeit hin überprüft bzw. sperrt und entfernt (hierzu Oberlandesgericht Nürnberg, Urteil vom 23. Juli 2024 – 3 U 2469/23 [Rn. 21 ff.]).

Wie kann man Telegram über Rechtsverletzungen informieren?

Stellen Sie sich vor, auf Telegram werden rechtswidrige Behauptungen über Sie oder Ihr Unternehmen verbreitet. Oder es werden gefälschte Waren in einem Kanal von Telegram angeboten, Marken, Geschmacksmuster, Designs oder Urheberrechte verletzt. Das ist keine Theorie (siehe nur den Bericht vom 28. März 2024: Telegram in trouble for continued IP infringement and piracy on its platform).

Wie kann man als betroffene Person oder betroffenes Unternehmen Telegram über eine solche Rechtsverletzung informieren?

Telegram hat kein sogenanntes Impressum mit Adresse und Kontaktmöglichkeit. Telegram scheint sich nicht dafür zu interessieren, dass Anbieter von Online-Diensten aufgrund des Digitale-Dienste-Gesetzes verpflichtet sind, bestimmte Angaben zu machen: Telegram muss u.a. seine Anschrift in seiner App und auf seiner Internetseite angeben (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 DDG). Telegram gibt auf seiner Internetseite lediglich an, dass „das Entwicklungsteam“ von Telegram „in Dubai ansässig“ sei. Derzeit sei man „mit Dubai zufrieden, aber jederzeit bereit umzuziehen, sollten sich die dortigen Vorschriften ändern“.

Die Süddeutsche Zeitung berichtete 2022, dass die deutschen Behörden nicht einmal eine Adresse von Telegram ausfindig machen konnten, an die sie einen Bescheid hätten schicken können (Markus Balser, SZ, 11. Februar 2022). Das erstaunt. Denn um eine Adresse von Telegram zu finden, braucht es keine besonderen detektivischen Fähigkeiten. Man kann einfach einen Markenrechtsexperten fragen oder selbst im Markenregister nachschauen: Zu dem Eintrag der am 16. April 2014 angemeldeten Unionsmarke „TELEGRAM“ mit der Registernummer 012800587 findet man problemlos folgende Adresse von Telegram, die auch an anderer Stelle im Internet als Adresse von Telegram genannt wird:

Telegram FZ-LLC
Business Central Towers,
Turm A, Büro 2301-2303
Dubai

Wer weiter sucht, findet E-Mail-Adressen von Telegram für bestimmte Fälle. Ich zitiere aus den FAQ von Telegram:

„Ich habe illegale Inhalte auf Telegram gefunden. Wie kann ich diese löschen lassen?

Die Einzel- und Gruppenchats sind Privatsache der jeweiligen Nutzer. Wir bearbeiten keine diesbezüglichen Anfragen. Sticker-Pakete, Kanäle und Bots sind öffentlich zugänglich. Falls du Inhalte findest, die du als illegal betrachtest, wende dich bitte an uns per E-Mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. […]

Ein Bot oder Kanal verletzt mein Urheberrecht. Was kann ich machen?

Alle Einzel- und Gruppenchats sind für die Beteiligten privat. Wir bearbeiten keine diesbezüglichen Anfragen. Sticker-Pakete, Kanäle und Bots sind öffentlich zugänglich.

Wenn du einen Bot, Kanal oder ein Sticker-Paket entdeckst, was gegen dein Urheberrecht verstößt, sende bitte eine Beschwerde an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Kann man gerichtlich gegen Telegram vorgehen?

Es gibt in Deutschland zwei Möglichkeiten, gegen Telegram zivilgerichtlich vorzugehen, wenn Telegram rechtswidrige Inhalte (zum Beispiel Angebote von Markenpiraterieware) nicht löscht: Ein Eilverfahren oder eine Klage gegen Telegram.

Wer einmal die Erfahrung gemacht hat, wie lange es dauert, bis eine Klage etwa in Malta vom Gericht zugestellt ist, wird sich eine Klage gegen Telegram mit Sitz in Dubai gut überlegen.

Rechtlos ist man nicht. Betroffene Personen und Unternehmen können im Eilverfahren gegen Telegram vorgehen und kommt so mglw. schneller zum Ziel. Hierzu ein Praxistipp am Rande: Wer eine einstweilige Verfügung vor einem Landgericht gegen Telegram erwirken will, sollte dies eher in Düsseldorf oder München versuchen, nicht aber bei dem Landgericht Würzburg. Denn in Düsseldorf ist die grundsätzliche Möglichkeit der Zustellung einer einstweiligen Verfügung durch öffentliche Zustellung nach unserer Kenntnis mehrfach bestätigt worden (siehe nur Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 19. September 2017 - I-20 U 3/17, zu § 185 Abs. 2 ZPO). Nach § 185 Abs. 3 Nr. 2 ZPO kann die Zustellung einer einstweiligen Verfügung durch öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustellung) erfolgen, wenn eine Zustellung im Ausland nicht möglich ist oder nach Einleitung des Verfahrens in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist (Landgericht München, Urteil vom 25. Februar 2021 - 7 O 14276/20 [Rn. 33]). Hierzu abschließend ein Zitat aus einem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 23. Januar 2014 - 34 U 216/12 [Rn. 189]:

„Auch die Voraussetzungen des § 185 Nr. 3 ZPO sind erfüllt. Eine förmliche Zustellung in den Vereinigten Arabischen Emiraten, mit denen kein förmliches Rechtshilfeabkommen besteht, und die zur Verjährung der Ansprüche des Klägers geführt hätte, widerspräche dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (vgl. BGH, Beschluss vom 20.1.2009 – VIII ZB 47/08, juris Rn. 17 mwN; Saenger/Eichele, ZPO, 5. Aufl. 2013, § 185 Rn. 7).“