Einstweilige Verfügungen sind eilbedürftig. Beschlussverfügungen - Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung - sind besonders dringend (§ 937 Abs. 2 ZPO). Sie erfordern schnelles Handeln der Anwältinnen und Anwälte, ein schnelles - summarisches - Verfahren und eine schnelle Entscheidung der Richterinnen und Richter. Dabei können Fehler passieren. Menschen sind fehlbar. Verstöße gegen die prozessuale Waffengleichheit in Rahmen von einstweiligen Verfügungsverfahren wird es daher immer geben. Empörung über solche Verstöße lohnt sich jedoch meist nicht, wie eine neue Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zeigt:

Beispielsfall: Ein nicht seltener Fehler, der zu einer Verletzung der prozessualen Waffengleichheit führt

  • Unternehmen A mahnt Unternehmen B ab. Es geht um Verstöße gegen einzelne Vorschriften der KI-Verordnung und gegen die DSGVO. Die im deutschen Wettbewerbsrecht enthaltene Vorschrift des § 3a UWG macht eine Abmahnung durch Mitbewerber in solchen Fällen möglich, wenn gegen eine Marktverhaltensvorschrift iSd § 3a UWG verstoßen wird (hierzu Schaal/Peintinger, GRUR-Prax 2025, 199). 
  • In der Abmahnung schreibt A kein Wort dazu, dass das Unternehmen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich Waren oder Dienstleistungen vertreibt oder nachfragt. Damit hat A die Anspruchsberechtigung nicht dargelegt, wie es § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG in der seit Dezember 2021 geltenden Fassung erfordert. Dabei geht es nicht um bloßen "Begründungsformalismus". Der Gesetzgeber wollte eine Verschärfung der Anforderungen an die Anspruchsberechtigung in § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG regeln. Das wird noch im Jahr 2025 immer wieder übersehen: Mitbewerber müssen in einer Abmahnung Angaben darüber machen, dass sie in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich Waren oder Dienstleistungen vertreiben oder nachfragen, z.B. durch Größenkategorien der Zahl der Verkäufe oder ähnlichem  (Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 4. Oktober 2024 - 6 U 46/24; Oberlandesgericht Hamm,  Urteil vom 3. April 2025 - 4 U 29/24).
  • Enthält der auf die Abmahnung folgende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung - anders als die Abmahnung - die nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG erforderlichen Angaben zur Anspruchsberechtigung, muss ein Gericht den Antragsgegner vor Erlass einer einstweiligen Verfügung zwingend anhören. Denn die ausgesprochene Abmahnung genügte ja nicht den inhaltlich an sie zu stellenden Anforderungen. Sie korreliert daher nicht mit dem Verfügungsantrag, der Angaben zu § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG enthält. Aufgrund fehlender Deckungsgleichheit von Abmahnung und Verfügungsantrag muss das Gericht den Antragsgegner zumindest telefonisch oder per E-Mail mit einer Frist von drei Tagen anhören. Das reicht.
  • Hört ein Gericht den Antragsgegner in einem solchen Fall vor Erlass einer Beschlussverfügung nicht an, liegt ein klarer Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit vor. 

Was tun bei Verstößen gegen die prozessuale Waffengleichheit?

Was kann der Antragsgegner in solchen Fällen tun, wenn er vor Erlass der Beschlussverfügung nicht angehört wurde und nun ganz empört ist, dass sein Recht auf prozessuale Waffengleichheit gemäß Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz verletzt wurde?

Der Antragsgegner kann gegen die einstweilige Verfügung Widerspruch einlegen und die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragen. Letzteres ist in den meisten Fällen nicht hilfreich. Die Einstellung oder Beschränkung der Vollziehung einer auf Unterlassung gerichteten einstweiligen Verfügung kommt regelmäßig nur in Ausnahmefällen in Betracht. Mir ist nur ein Fall bekannt, in dem ein Gericht die Vollziehung einer mit Beschluss erlassenen einstweiligen Verfügung einstweilen eingestellt hat.

Zudem kann der Antragsgegner einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Bundesverfassungsgericht stellen, um zu erreichen, dass die Wirksamkeit der Beschlussverfügung ausgesetzt wird.  Auch das bringt meist nichts.  Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG geht - um im oben genannten Beispielsfall zu bleiben - jedenfalls bei Verstößen gegen das UWG regelmäßig ins Leere, und zwar mit Blick auf die Schadensersatzpflicht nach § 945 ZPO, so das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2023 (Beschluss vom 18. September 2023 - 1 BvR 1728/23).

Empörung im Falle einer mündlichen Verhandlung kann man sich sparen 

Spätestens dann, wenn das Gericht nach einem Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung verhandelt, kann man sich jede Empörung über Verstöße gegen die prozessuale Waffengleichheit sparen, selbst wenn es um krasse Verstöße geht. Denn ein Verstoß gegen die Waffengleichheit ist im Fall einer mündlichen Verhandlung nicht mehr relevant. Er ist zwar nicht "geheilt", wie das Oberlandesgericht Köln kürzlich in einem markenrechtlichen Fall geschrieben hat (Urteil vom 11. Oktober 2024, 6 U 48/24 [Rn. 11]). Denn  insofern ist der Nachteil ja bereits eingetreten und könnte durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht mehr abgewehrt werden (BVerfG, Beschluss vom 29. Januar 2018 – 1 BvQ 70/17 [Rn. 5]). Ein vorangegangener Verstoß gegen die Waffengleichheit kann jedoch nach mündlicher Verhandlung über den Widerspruch für das Fachgericht nie entscheidungserheblich sein (Lerach, GRUR-Prax 2023, 181). Denn der Antragsgegner hat – entsprechend den Vorgaben des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit – in einer mündlichen Verhandlung ja hinreichende Gelegenheit, auf die Entscheidung Einfluss zu nehmen. Der Verstoß gegen das Gesetz der Waffengleichheit ist infolge der Durchführung des Widerspruchsverfahrens, in dessen Rahmen ein Landgericht den Vortrag eines Antragsgegners zur Kenntnis nehmen und würden kann, damit faktisch erledigt. Das geht auch aus einer neuen Bundesverfassungsgericht (erneut) hervor: 

Die Beschwerdeführer verweisen auf den Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 24, wonach das Recht auf prozessuale Waffengleichheit nicht nur eine ausgeglichene, sondern auch eine zügige Verfahrensführung gebiete und eine Verzögerung des Verfahrens zu ihren Lasten nach Verkündung des Urteils ebenso wenig hinzunehmen sei wie eine Verzögerung vor Erlass einer einstweiligen Verfügung (zu Lasten der Gegenseite). Dabei setzen sie sich aber nicht damit auseinander, dass das Landgericht nach dem Erlass der einstweiligen Verfügung eine mündliche Verhandlung anberaumt hat, auf deren Grundlage das Urteil erging. Die Beschwerdeführer hatten – entsprechend den Vorgaben des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit – hinreichende Gelegenheit, auf die Entscheidung Einfluss zu nehmen.

Beschluss vom 10. April 2025 - 2 BvR 468/25.

Konsequenzen für die gerichtliche Praxis

Wird vor Erlass einer Beschlussverfügung gegen das Gesetz der Waffengleichheit verstoßen, können Fachgerichte  einfach vermeiden, dass  das Bundesverfassungsgericht ihre einstweilige Verfügung aussetzt. Sie können ihren Fehler schnell korrigieren, indem sie nach Eingang eines Widerspruchs sofort und kurzfristig eine mündliche Verhandlung anberaumen. Denn den Rechten des Antragsgegners wird Genüge getan, indem das Gericht ihn in der mündlichen Verhandlung über den Widerspruch hört. Damit wird der Verstoß gegen die Waffengleichheit faktisch erledigt - er ist nicht mehr entscheidungserheblich.

(OL)